Steigende Verschuldungsproblematik

Steigende
Verschuldungs-
problematik

Marktkommentar, Juni 2024

Steigende Verschuldungsproblematik

Auch wenn derzeit nur von wenigen beachtet, dürfte doch die Verschuldungsproblematik mehr auf den Radar der Investoren gehören. Oft schon in der Geschichte der Finanzmärkte kam es bei gleichzeitigem Anstieg von Verschuldung und hoch bleibenden Zinsen zu Prob­lemen oder gar sogenannten «Finanzunfällen» von Unternehmen oder Staaten. Wie wichtig ein Fokus auf die Qualität der Ertragslage, aber eben auch der Bilanzsituation, der Schul­den­fälligkeit und der Gesamtverschuldung ist, wird sich in den kommenden Quartalen wohl zeigen. Das gilt nicht nur für Aktien, sondern auch für Anleihen.

Die Zinsen zur Bedienung von Schulden sind für Regierungen, Unternehmen und Privatpersonen deut­lich gestiegen. Die Welt ist aus dem Traum der Phase des billigen Geldes 2008 bis 2022 endgültig aufgewacht. Doch weniger bekannt ist, dass sich die globale Verschuldung auf einem historischen Rekordhoch befindet. Überraschen darf dies nach über einem Jahrzehnt von historisch einmalig billiger Finanzierung niemanden. Die gesamte Summe an geschuldetem Geld beträgt weltweit inzwischen fast 315 Bio. US-Dollar! Um es anders zu formulieren: Die globale Verschuldung ist gemäss dem bekannten Institute of International Finance allein seit 2013 um über 35 % angestiegen.

Damit erhöhen sich die Risiken bei einer Konjunkturveränderung für das internationale Finanzsystem, besonders, falls es zu einer weltweit klaren Wirtschaftsabschwächung kommen sollte. Denn in diesem Fall würde sich in vielen Ländern das Verhältnis von Verschuldung zur Wirtschaftsleistung bzw. zum Bruttoinlandprodukt deutlich verschlechtern. Dies könnte relativ rasch zu Diskussionen über die Trag­barkeit der Verschuldung von Staaten wie Italien oder auch gewissen Schwellenländern führen, aber auch zu einer Ausweitung der sogenannten «Credit Spreads», also der Zusatzrenditen oder besser gesagt Risikoprämien, welche höher verschuldete Staaten oder Firmen zahlen müssen. Diese sind bekanntlich in den letzten Monaten wieder massiv zurückgekommen. «High Yield»-Anleihen könnten dabei aufgrund ihrer geringeren Kreditqualität höhere Zahlungsausfallrisiken zeigen als «Investment Grade»-Anleihen. Viele Schulden sind in Zeiten tiefer Zinsen aufgenommen worden und ihre Proble­matik hängt nun davon ab, wann sie fällig werden und wie rasch zu nun höheren Zinsen refinanziert werden muss. Das bedeutet, dass künftig einzelne Unternehmen und Staaten noch genauer als sonst zu analysieren sind. Selektion ist also angesagt.

Wenn die Verschuldung und die Schuld­zinsen historisch hoch sind, sollte auf Qualität geachtet werden.

Gérard Piasko, Chief Investment Officer

Die Finanzgeschichte ist voller Beispiele von Problemen, die relativ hoch bleibende Zinsen ausgelöst haben. Dies besonders dann, wenn gleichzeitig auch die Verschuldung in relativ kurzer Zeit hoch­gefahren wurde. Es ist zwar schon längere Zeit her, aber wir sollten uns an den Nikkei-Niedergang zu Beginn der 1990er Jahre in Japan erinnern, an die Schwellenländerprobleme von Mexiko 1994 oder auch die verschiedener asiatischer Länder 1997/98. Auch die Finanzkrise 2008/09 oder die Euro­krise 2010/2011 waren durch einen Anstieg der Verschuldung bei gleichzeitig im historischen Vergleich plötzlich wieder hohen Zinsen ausgelöst worden.

Diesmal erscheinen einige Problemfelder der Verschuldung am Horizont aufzutauchen, von wieder mehr Volatilität für verschuldete Staaten wie Italien bis zu möglichen Immobilienkorrekturen z.B. in Australien, Südkorea, in nordeuropäischen Ländern oder zum Teil auch in den USA. In Grossbritannien machen Zahlungen zur Schuldenbedienung (nicht nur von Hypotheken) bereits einen hohen Anteil des Haushaltseinkommens aus. In den Niederlanden, Norwegen und Schweden sind es schon 10 bis 15 %. Besonders Wohnungs- und Hauseigentümer in vielen Ländern, auch in Asien, spüren die historisch hohen Zinskosten. Ebenso sogenannte «Zombie-Firmen», d.h. hoch verschuldete Unternehmen mit vielen Angestellten, aber sinkender Ertragskraft, die gemäss Analysten inzwischen verschiedentlich schon fast 20 % der börsennotierten Unternehmen ausmachen dürften.

Wie die Rating-Agentur Moody’s berichtete, könnten die Zahlungsausfallraten im «High Yield»-Segment, besonders bei Firmen mit tieferem Kreditrating, bald deutlich ansteigen. In bestimmten Ländern droht zudem Ungemach aufgrund des hohen Anteils der Schulden in US-Dollar, besonders bei Immobilienfirmen in Schwellenländern, wo neben sinkenden Immobilienwerten noch eine recht hohe Dollarverschuldung hinzukommt. Aber auch in nicht öffentlichen Märkten besteht eine so­genannte «Leverage»-Problematik, dort, wo Investments mit grossem Verschuldungshebel getätigt wurden, beispielsweise im Bereich der Privatkredite.

Gerade in einer Phase, in der die Zentralbanken nicht mehr wie früher über Anleihenkäufe die Nachfrage stützen, sollte daher der Qualität der Unternehmen, aber auch der Staaten, besonders grosse Aufmerksamkeit gelten. Und das gilt nicht nur für Aktien, sondern auch für Anleihen. Die Analyse der einzelnen Firmen wird umso wichtiger.

Gérard Piasko

Gérard Piasko

Gérard Piasko leitet als Chief Investment Officer das Anlagekomitee der Privatbank Maerki Baumann. Zuvor war er über viele Jahre Chief Investment Officer bei Julius Baer, bei Sal. Oppenheim und bei der Deutschen Bank.

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Redaktionsschluss: 13. Juni 2024

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