Schlicht grossartig - Journal - Tonhalle Zürich - Orgel

Schlicht grossartig

Schlicht grossartig

Tonhalle-Intendantin Ilona Schmiel und Tonhalle-Vizepräsident Hans G. Syz-Witmer über die Wiederbelebung des Zürcher Konzerthauses, den Einbau von Kameras und den Abbau von Schwellenangst.

Frau Schmiel, Herr Syz, nach vier Jahren Bauzeit erstrahlt die Tonhalle in neuem Glanz. Welche Musik begleitete Sie durch die Eröffnungsphase?
Ilona Schmiel: Beruflich beschäftigte ich mich intensiv mit der 3. Symphonie von Gustav Mahler, die wir am Eröffnungskonzert in Vollbesetzung mit 160 Musikerinnen und Musikern auf der Bühne aufführten. Es ist ein phänomenales Werk. Da Musik zu meiner täglichen Arbeit gehört, höre ich privat gar nicht so oft Musik. Ich brauche auch mal Stille.
Hans G. Syz-Witmer: Auch ich habe mich mit Mahlers 3. Symphonie befasst. Ich habe es mir zur Gewohnheit gemacht, die Konzerte, die ich in der Tonhalle besuche, hin und wieder vorgängig bewusst anzuhören und auf der Partitur zu verfolgen. Wenn ich das Werk schon in den Ohren habe, höre ich im Konzert viel mehr Details. Unterschiede in den Interpretationen zu verfolgen, ist spannend wie ein Krimi.

Worin besteht für Sie der Reiz der neuen Tonhalle Zürich?
Schmiel: Im Saal drinnen sind es die Farbigkeit, die Wärme des Raumes und die Liebe zum Detail, mit der renoviert worden ist. Dann die Akustik, die besser ist als früher und mit der Zeit noch besser werden wird. Und wenn ich den Saal verlasse, geniesse ich die von Mauern befreite Sicht auf den Zürichsee und die Alpen.
Syz: Dass es trotz intensiver Auseinandersetzungen und grosser Herausforderungen möglich war, den Saal zu grossen Teilen in den Ursprung zurückzuversetzen und mit einer neuen Orgel zu bestücken, die höchste Anforderungen erfüllt, ist schlicht grossartig.

Welches war die grösste Herausforderung bei der Renovation?
Schmiel: Wir wollten die Tonhalle an die Anforderungen des 21. Jahrhunderts anpassen. Corona hat die Digitalisierung auch bei uns beschleunigt und gezeigt, dass sich unsere Interessen nicht immer mit den Gegebenheiten eines Saals von 1895 decken. Dies zusammenzubringen war die grosse Kunst.

Die Bedeutung von Musik als Gemeinschaftserlebnis ist enorm.

Hans G. Syz-Witmer

Die Tonhalle überträgt Konzerte vermehrt per Livestream. Wie wichtig ist das?
Syz: Die Bedeutung von Musik als Gemeinschaftserlebnis ist enorm. Das wurde uns allen bewusst, als uns Live-Konzerte im Lockdown fehlten. Aber auch das digitale Konzerthaus ist Realität. Ein Konzerthaus muss heute Konzerte auf verschiedenen Kanälen anbieten – live im Saal, als Livestreams oder zeitversetzt abrufbar. Ich habe mir vorgenommen, mich mit allem, was in meiner Macht steht, für den Einbau von Kameras einzusetzen, um Livestreams zu fördern.
Schmiel: Kameras waren ursprünglich gar nicht vorgesehen. Aber durch Corona haben wir gesehen, dass wir unser Online-Angebot ausbauen müssen. Wir haben bereits vier Kameras, die wir nach der Renovation einbauen konnten, aber um eine hohe Qualität der Livestreams zu garantieren, brauchen wir mehr.

Was unternehmen Sie, um vermehrt ein jüngeres Publikum in die Tonhalle Zürich zu locken?
Schmiel: Wir haben ein riesiges Musikvermittlungsprogramm für Menschen zwischen 4 und 99 Jahren. Mein Ziel ist es, dass alle Schülerinnen und Schüler des Kantons mindestens einmal zu uns in die Tonhalle kommen. Unsere Musikerinnen und Musiker gehen auch in die Schulen und stellen sich und die Tonhalle Zürich auf künstlerische Weise vor. Wichtig bleibt auch die Kontaktpflege zu Studierenden der Zürcher Hochschule der Künste. Und auch Profis aus allen künstlerischen Disziplinen wie Toningenieure oder Musikproduzenten können Proben in der Tonhalle Zürich besuchen.
Syz: Es wird die grosse Kunst sein, die Schwellenangst abzubauen. Die neue Tonhalle Zürich soll für alle da sein. Die Zeiten sind vorbei, in denen man mit förmlichen Kleidern und ernstem Gesicht ins Konzert gehen musste. Zu uns kann man so kommen, wie man sich wohlfühlt, egal ob mit oder ohne Krawatte.

Warum werden die Konzerte kürzer und die Pausen abgeschafft?
Syz: Es ist wie im Kino: Eine Pause unterbricht den Fluss der Vorstellung. Indem wir auf Pausen verzichten, können wir die Konzentration auf die Vorstellung besser aufrechterhalten. Kommt hinzu, dass früher nach dem Schlussapplaus viele hinausgerannt sind, um rechtzeitig nach Hause zu kommen. Bei den Zugaben war dann häufig bereits ein Teil des Publikums weg. Das war schade. Mit dem neuen Konzept werden auch Zugaben aufgewertet. Diese sind für die Künstlerinnen und Künstler eminent wichtig.
Schmiel: Wir haben während Corona gute Erfahrungen mit Konzerten ohne Pause gemacht. Anstatt Pause gibt es neu vor und nach den Konzerten mehr Möglichkeiten für Austausch und Nähe. Mindestens eine Stunde vor dem Konzert gibt es zu essen und zu trinken, als Höhepunkt folgt das Konzert, und danach gibt es Gelegenheit, Musikerinnen und Musiker in ungezwungener Atmosphäre im Foyer zu treffen. Wir müssen mehr tun, um den Ort zu beleben. Es gibt nichts Trostloseres als ein leeres Konzertfoyer.

Welche programmatischen Neuerungen sind vorgesehen?
Schmiel: Es ist ein Traum von mir, dass nur noch Ort und Uhrzeit des Konzerts bekanntgegeben werden und das Musikprogramm selbst eine Überraschung ist. Dahinter steckt die Idee, dass sich das Publikum darauf verlassen kann, dass das, was wir programmieren, so oder so erlebenswert ist. Was wir bieten, ist so wichtig, dass es sich lohnt zu kommen.
Syz: Für Konzertbesucher, die eine Vorliebe für bestimmte Komponisten haben, könnte das allerdings kritisch werden. Ich zum Beispiel gehe bei Mozart eher nicht in die Tonhalle...
Schmiel: ...aber du könntest sagen, wenn Paavo Järvi Mozart inszeniert, dann lohnt es sich bestimmt, Mozart neu zu entdecken. Mir geht es um das totale Vertrauen: Was in der Tonhalle angeboten wird, ist so bewegend und so berührend, dass es sich immer lohnt. Aber wie gesagt, das ist mein Traum.

Das Tonhalle-Orchester hat sich in den letzten Jahren international zu einem führenden Klangkörper entwickelt. Welches Ziel verfolgen Sie mit dem Orchester?
Schmiel: Wir sind bereits Weltklasse, wollen aber international in die Top Fünf. Das ist das erklärte Ziel des Music Director Paavo Järvi.

Was braucht es dazu?
Schmiel: Es braucht einen immensen Willen, jederzeit absolute Höchstleistungen zu erbringen.
Syz: Und einen Music Director wie Paavo Järvi, der international einen hervorragenden Ruf geniesst und eine enorme Ausstrahlung auf Orchester und Publikum hat. Zum einen ist er ein überragender Musiker mit einem vielfältigen Werdegang: Er war unter anderem einmal Schlagzeuger in einer Metal-Band. Zum anderen ist er ein nahbarer und empathischer Mensch, mit dem man gerne ein Glas Wein trinkt.

Ilona Schmiel und Hans G. Syz - Orgel - Interview

Ilona Schmiel und Hans G. Syz

Ilona Schmiel ist seit 2014 Intendantin der Tonhalle-Gesellschaft Zürich AG.

Hans G. Syz ist Präsident des Verwaltungsrates der Maerki Baumann & Co. AG sowie Vizepräsident und Quästor der Tonhalle-Gesellschaft Zürich AG.

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